Ökumenische Gemeinschaft auf dem Kirchentag

Als erste gemeinsame Veranstaltung am Donnerstag hatten wir uns im Vorfeld schon auf eines der Hauptpodien verständigt und machten uns auf den Weg zur Nürnberger Meistersingerhalle. Im großen Saal sollte es um die Frage “Wo finde ich Halt?” gehen. Zur Diskussion mit dem Untertitel Sinnstiftung in einer Gesellschaft mit Christ:innen als Minderheit waren eingeladen: Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Prof. Dr. Alena Buyx, Medizinethikerin und Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, der Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack, der Musiker Samuel Rösch, sowie die Theologin und Zen-Meisterin, Doris Myôen Zölls.

Bevor auch das Publikum dazu eingeladen war, Fragen über die Kirchentags-App an die Publikumsanwältinnen zu senden, moderierte der Schweizer Regisseur Benjamin Heisenberg die doch sehr heterogene Runde. Gut im Gedächtnis geblieben ist uns die Antwort von Doris Zöls auf die Eingangsfrage, wo sie Halt suche: in der Stille. Zur Erklärung zitierte sie den dänischen Philosophen Sören Kierkegaard, der einmal über das Beten schrieb, dass er dachte, Beten sei Sprechen, bis er erkannt habe, dass Beten Schweigen bedeute. Zöls kennt diese Erfahrung. Durch das Beten in der Stille entstehe eine größere Bewusstheit, die ihr großen Halt gebe. Wir fanden es im Nachhinein etwas schade, dass sie nicht öfter zu Wort kam, weil wir gerne mehr von ihr gehört hätten.

Einen interessanten Gedanken führte Prof. Dr. Detlef Pollack aus. Mit Rekurs auf den Neurologen und Psychiater Victor E. Frankl, sieht er die Religion als eine Möglichkeit für uns, die wir uns in einer ständigen Selbstbeobachtung befinden, die Reflexion über die eigene Person zu stoppen, um Dinge auch mal kommen lassen zu können. Er plädierte dafür, sich darin einzuüben, mehr Gelassenheit mit sich zu haben, anstatt sich ständig selbst zu bewerten und optimieren zu wollen.

Dadurch, dass die Frage zur Minderheiten-Situation von ChristInnen bis nach der Pause noch gar nicht zur Sprache kam, meldete das Publikum zahlreiches Interesse an, hierzu ein Stimmungsbild zu hören. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich nicht allein um eine Kirchenkrise handle, in der wir stecken, sondern eine Glaubenskrise. Um als Institution wieder mehr Halt geben zu können, müsse die Kirche eine zuhörende, dialogische Kirche sein, die sich auf Menschen einstellt und davon absieht, von oben herab zu kommunizieren. Pollack warnte vor dogmatischer Verengung und Bevormundung und mahnte zur Zurückhaltung, auch im Sinne einer Zurücknahme des eigenen Angebots, das sich mehr an den Bedürfnissen der Menschen orientieren solle.

Etwas befremdlich fanden wir, dass die Diskussion zum Ende hin doch sehr politisch wurde, als es um Machtfragen in der Kirche ging und wie Privilegien verteilt werden. Fakt sei es, so Prof. Dr. Alena Buyx, dass alle, die privilegierte Positionen innehaben, diese auch behalten wollen. Daraus entwickelte sich eine Debatte, die doch recht hitzig wurde und die gesamte Podiumsdiskussion in ein seltsames Licht rückte.

Besonders Anna-Nicole Heinrich fand zum Ende hin aber nochmal viele gute metaphorische Umschreibungen, mit denen sie ihre Vorstellung verdeutlichte, was für sie ein Halt sei. Auch wenn die etwas seltsam formulierte Frage danach, wie sie Menschen, die nicht studiert hätten, erklären solle, was mit Haltsuche gemeint sei, überzeugte ihr Beispiel aus dem Alltag. Ein Halt sei vergleichbar mit den Halteschlaufen im Bus, für die man dankbar sei, wenn es auf der Fahrt holprig her ginge, etwas, was in Momenten da sei, in denen man nach etwas greifen möchte, das einen stützt und vor einem Sturz bewahrt.

Bemerkenswert war in unserer Wahrnehmung, dass die Suche nach Halt etwas sei, was Menschen überall beschäftigt, egal wo man aufgewachsen oder wie man sozialisiert wurde. Alles in allem empfanden wir im Nachgang, dass die Diskussion ein gut verdaulicher Einstieg für das sein sollte, was in den folgenden Tagen auf uns zukommen sollte. In der Rückschau war dies eine der persönlichsten Runden, die wir gehört haben, aus der man viele Einblicke in das Glaubensleben der Teilnehmenden entnehmen konnte. Im Anschluss fanden wir selbst Halt in einer gemeinsamen Mahlzeit und persönlichem Austausch.

Am Freitag stand das Kulturprogramm an: Gemeinsam besuchten wir das Konzert des aus zwölf Blechblasmusikern bestehenden Auswahlensembles “Blechbrise” des Posaunenwerks Hamburg – Schleswig-Holstein. Unter dem Motto “Mittenmang de Tied – Posaunentag und Kirchentag vereint” gaben die MusikerInnen unter der Leitung von Daniel Rau, dem Geschäftsführer des kommenden Evangelischen Posaunentags, der im Frühjahr 2024 in Hamburg stattfinden wird, in einem etwa anderthalb-stündigen Programm eine kleine Auswahl von Stücken vor rund 150 ZuhörerInnen zum Besten. Darunter das berühmte “Halleluja” von Georg Friedrich-Händel, aber auch moderne Kompositionen, wie z.B. von Jens Uhlenhoff, Matthias Buchner oder das als Sieger hervorgegangene Stück “Brass Fantasia” des Komponisten Stephan Mey. In jedem Fall ein Kulturerlebnis, was für den einen oder anderen gänzlich neu war. So war die Begeisterung des Publikums nicht zu überhören. Am Ende gab es nach einer Zugabe, die es in sich hatte, Standing Ovations für die MusikerInnen. Verdient, wie auch wir fanden. Das war ein toller Start in den Vormittag, zumal wir beide selbst musikalisch aktiv sind. In ganz Nürnberg waren während des Kirchentags noch viele weitere Bläserinnen und Bläser aktiv und musizierten über das gesamte Stadtgebiet verteilt, wobei die größten kurzweiligen Chorgemeinschaften über tausend Musiker umfassten.

Am Samstagvormittag starteten wir mit einer Bibelarbeit vom Dresdner Landesbischof Tobias Bilz zur Perikope Lk 17,20-25, in der auf das Reich Gottes verwiesen wird. Mit unnachahmlichen Charisma, theologischer Expertise und geschickter Redekunst schaffte es Bischof Bilz, eine zeitgemäße Auslegung zu präsentieren, die alles beinhaltete, was wir uns davon gewünscht und erhofft hatten. Ganz getreu dem Motto des Kirchentages „Jetzt ist die Zeit“ sei es nun an der Zeit, dass man von der Reduktion auf selbstgewählte Orte und Zeiten abkomme. Das Reich Gottes brauche Lebendigkeit, so Bilz, und diese sei nur bei den Menschen zu finden, in der Gemeinschaft. Jetzt ist die Zeit für Überwindungen! Zeit, das zu überwinden, was uns voneinander trennt, Andersheiten, Kämpfe, um zu Menschen zu werden, die neu nach dem Reich Gottes sehnen, in der Hoffnung dort den Trost zu finden, der uns helfen kann, uns auf eine neue Welt auszurichten. Und so waren wir uns einig, dass uns jenseits von unterschiedlichen Konfessionen dieser Glaube verbindet und uns zum größten Halt wird, dass das Reich Gottes in uns angebrochen ist und die Zeit, die kommen wird, bereits angebrochen ist.

Von: Katharine Pilgrim und Tobias Schmidt