Aber wie kann man an so einer “Deep connection” arbeiten oder sie zumindest stärken?
Die US-amerikanische Drag Queen Ru Paul ist bekannt für ihren Slogan: “if you can’t love yourself, how in hell are you gonna love somebody else?” Oscar Wilde beschreibt es in seinem Essay “the Soul of man under socialism”, indem er erörtert: “What Jesus meant, was this. He said to man, ‘You have a wonderful personality. Develop it. Be yourself. Don’t imagine that your perfection lies in accumulating or possessing external things. Your affection is inside of you.(…)”[1].
Wenn man nun also eine “deep connection” mit einer anderen Person finden will, so müsse man erst einmal eine deep connection zu sich selbst finden (und auch zu Christus).
Am letzten Tag des Kirchentages besuchte unsere Gruppe das Musical: „water to wine – ein Jesus – Highschool – Musical“.
Jesus, der im Begriff ist ein Buch zu schreiben, wird von seiner Mutter, die ihn bisher zuhause unterrichtete auf die Highschool geschickt. Zu viele wirre Sachen sagt er und solle dort Vernunft beigebracht bekommen. Jesus werden die dortigen Gruppen (“Nerds”, “Bullies”, “Punks” usw.) vorgestellt. Allerdings kann sich Jesus keiner dieser Gruppen zuordnen. Zu anders sei er. Diese Abwehr der Assimilation ruft die sog. “Bullies” auf den Plan. Sein Mobber Jeremiah beleidigt ihn aufs schärfste und fordert Anpassung. Doch Jesus schafft dies nicht.
Auf einer Party verwandelt er durch Berührung unverhofft das Wasser zu Wein und wird von den Gäst_innen gefeiert. Gerüchte werden auf der Party laut, dass sein Mobber, Jeremiah, heimlich Mitschüler küssen würde.
Im Anschluss fühlt Jesus sich merkwürdig. Er fühlt sich anders, kann seine Gefühle nicht einordnen. Weder seine Gefühle seien Wundertaten noch seine Gefühle Jeremiah betreffend. Jesus spricht mit seiner einzigen Freundin an der Schule: Judy. Jesus erzählt von seiner fraglichen Gefühlslage. Was er nicht wusste: Judy betrügt ihn heimlich. Sie erzählt seinen Mobbern von seinen homoerotischen Tendenzen. Diese, da sie nun einen expliziten Grund haben Jesus zu diskriminieren, formen Pläne, um dies aktiv zu tun.
Allerdings wehrt Jeremiah sich. Er möchte Jesus keinen Schaden zufügen und wird ebenfalls von Judy verraten und von seinen ehemaligen Freund_innen verstoßen.
Jesus spricht währenddessen mit seiner Mutter: Gott. Diese akzeptiert ihn so wie er ist. In seiner Verschiedenheit der herrschenden Normen.
Seine Bullies finden ihn und jagen ihm nach. Er kann fliehen, weil er über Wasser laufen kann. Auf dem anderen Ufer sitzt der niedergeschlagene Jeremiah. Jesus setzt sich neben ihn und Jeremiah erzählt von dem vorigen Gespräch mit seiner Freundesgruppe. Er berichtet, er habe sich für Jesus eingesetzt und Gefühle für ihn entwickelt.
Am nächsten Tag treffen Jesus und Jeremiah auf die Gruppe rund um Judy. Es kommt zu einem handfesten Streit, der zu eskalieren droht. Jesus geht dazwischen und singt “Love your neighbor and yourself”. Die Bullies sehen ihre Schuld ein und Jesus geht gemeinsam mit Jeremiah zur “Prom”, wo es ebenfalls zum ersten gemeinsamen Kuss kommt. Hier endet das Stück.
Dieses Stück wurde von Lernenden und ehemaligen Schüler_innen einer Nürnberger Schule geschrieben und inszeniert.
Der Grund, aus dem ich den Inhalt so detailliert wiedergebe, ist nicht nur der, dass ich der Meinung bin, dass es ein solches Stück, in dem so viel Zeit und Liebe steckt, reproduziert werden sollte, wenn auch nur gedanklich; sondern auch der, dass ich es als Theolog_in durchaus problematisch finde, wie die Geschichte Jesu Christi dargestellt wurden ist. In keiner einzigen Art und Weise, selbst wenn es ein Vorausblick gewesen wäre, wird der Kreuzestod beschrieben.
Jesus selbst nennt immer wieder Bibelzitate (sowohl aus dem Alten als auch aus dem Neuen Testament), verfälscht diese allerdings so sehr und zieht diese in so einer Weise aus deren Kontext, dass es zuerst schwerfällt diese als solche zu identifizieren.
Was war nun die Intention des Stückes? Jesus von Nazareth als historische Persönlichkeit darzustellen und zu inszenieren? Von einem Anspruch an Historizität kann hier nicht ausgegangen werden.
Im weiteren Gespräch mit meiner Gruppe – ich, als liberale Kulturprotestant_in, eine weitere als, zwar katholisch, aber doch recht kirchenfern und das dritte Mitglied als sehr bewusst christlich-evangelisch, als die beiden anderen es sind – waren die ersten Fragen, die Fragen nach den Personen.
Wen Jesus darstellen sollte, liegt auf der Hand. Mit Judy sieht es schon schwieriger aus, auch wenn der Name im christlich-jüdischem Dialog durchaus sympathischer klingt als Judas.
Aber wer war dieser Jeremiah? Johannes? Der Jünger, den Jesus liebte, so wie es die Entität des Evangelisten Johannes beschreiben will (vgl. Joh. 13, 23). Aber warum wurde er dann nicht Johannes genannt, sondern Jeremiah. Außerdem ergibt das nur begrenzt Sinn, da Jeremiah Jesus zunächst kritisiert und diskriminiert. Zu einem solchen Verhalten ist bei Johannes nichts zu finden.
Sollte Jeremiah nun vielleicht Nikodemus darstellen? Eine Entität, die Jesus als Söldner zunächst verfolgte, später aber zu einem seiner Jünger_innen wurde (vgl. Joh. 3). Dagegen würde sprechen, dass Jesus keine so innige Beziehung zu ihm führte, zumindest laut des Johannes Evangeliums.
Diese Frage diskutierten wir den Tag über noch in unserer WhatsApp-Gruppe weiter. Wir kamen zu dem Schluss, dass Jeremiah vermutlich schlichtweg keine Referenz im Johannes Evangelium findet.
Wenn die Intention des Musicals keine historische war, war es dann vielleicht eher Jesus in einem neuen Licht darangehen zu lassen? Jesus als homosexueller Mann in einer Highschool, das ist Provokation sonders gleichen, die schlichtweg dafür sorgen möchte, dass solche Punkte untereinander diskutiert werden. Ja, man muss sich selbst hinterfragen. Die eigenen Vorstellungen und Rollenbilder, die man (re)produziert, um zu merken: es ging in diesem Musical um nichts weiteres als Demokratie.
Zu polarisieren. Menschen zum Diskutieren zu zwingen. Meinungen zu bilden und diese argumentativ zu füttern. Das ist die Intention des Stückes gewesen und dies ist es, was ich und meine Gruppe von dem Kirchentag mitnehmen werden: eine “deep connection” und ein gestärktes und geschärftes Verständnis für eine gesunde Diskurskultur.
[1] <https://www.marxists.org/reference/archive/wilde-oscar/soul-man/> Stand 11.06.2023




Samstag, 11.00 – 12.00 Uhr