Gespräch Konstantin von Notz

Am Freitagmorgen hatten wir in entspannter Café-Atmosphäre die Chance zum persönlichen Gespräch mit Konstantin von Notz (Bundestagsabgeordneter Bündnis 90/Die Grünen). Als religionspolitischer Sprecher der Grünen und selbst bekennendes Mitglied der evangelischen Kirche kristallisiertes sich im Gespräch Positionierungen heraus, die aus Sicht der Gruppe teils Anschlussfähigkeit boten, teils aber auch Widerspruch hervorriefen und im Anschluss an das Gespräch für weitere Debatten innerhalb der Gruppe sorgten.

Zustimmung fanden unter anderem die positive Einordnung des momentanen Staats-Kirchen-Verhältnisses sowie die Wertschätzung gegenüber dem besonderen verfassungsrechtlich verbürgten Schutz der Religionsfreiheit. Auch die Positionierung zur grundsätzlichen Sinnhaftigkeit der Ablösung der Staatsleistungen – trotz der finanziellen Herausforderungen, die diese für die einzelnen Bundesländer bedeuten – rief überwiegend positive Resonanz hervor.

Hingegen überraschte die teilweise einseitige und pauschalisierende Sicht auf „die“ katholische Kirche – auch wenn im Gespräch grundsätzlich klar geworden ist, dass Herr von Notz sicherlich nicht zur Sorte Politiker:in gehört, der:die die verschiedenen Akteur:innen der katholischen Kirche im gesellschaftlichen und politischen Kontext als nicht ernst zu nehmende Dialogpartner:innen abstempelt. Trotzdem irritierte – wohlmöglich auch einer besonderen katholischen Sensibilität geschuldet – die im Gespräch des öfteren auftauchende Rede von „der“ katholischen Kirche sowie das Gleichsetzen der durchaus heterogenen katholischen Landschaft in Deutschland mit „Rom“ und die damit implizierte hierarchische Obrigkeitshörigkeit. Auch Aussagen wie: es sei „Rom“ schlicht egal, wie viele Katholik:innen in Deutschland aus der Kirche austreten würden, weil in Afrika genug Menschen nach kämen, scheinen in Anbetracht der Tatsache, dass der Heilige Stuhl allein aus finanziellen Gründen von den deutschen Katholik:innen in nicht unerheblichem Maße abhängig ist – so „unchristlich“ diese Tatsache auch sein mag, – der Komplexität des Phänomens nicht gerecht zu werden. Insofern wäre die Erwartung an einen religionspolitischen Sprecher – auch wenn dies im lässig-lockeren Café-Format pedantisch erscheinen mag – ein differenzierterer (insbesondere sprachlicher, aber auch inhaltlicher) Umgang in Bezug auf die verschiedenen katholischen Akteur:innen in Deutschland und ihr Verhältnis zu Rom gewesen, der resp. Reformbewegungen oder säkulare fachliche Kompetenz nicht in römischer Hierarchie aufgehen lässt und sich expliziter von solchen Positionierungen distanziert, um einer Verdrängung kirchlicher Akteur:innen aus dem politischen Diskurs nicht auch noch ungewollt Vorschub zu leisten.

Einigkeit bestand wiederum beim Thema Religion und Demokratie und dem vorhandenen Gefahrenpotenzial, das von verschiedenen christlichen Strömungen in Bezug auf populistische, antidemokratische und rechtsextreme Denkmuster ausgeht und wie beispielsweise in den USA und Brasilien zu sehen ist, verheerende Folgen mit sich bringt. Auch wenn – wie Herr von Notz einbrachte – nicht in der Bibel steht, dass Christ:innen demokratisch sein müssten, scheint doch hier kirchliche und insbesondere theologische Aufklärungs- und Präventionsarbeit gefragt zu sein, bei der man um eine gute Kooperation zwischen Staat und Kirchen nicht herumkommen wird.

Besonders diskutiert wurde gruppenintern die Positionierung zum Umgang mit und der Verantwortung gegenüber Nichtwählern. Die von ihm selbst als Mindermeinung betitelte Auffassung, dass es nicht Problem des Staates und der Politiker:innen sei, wenn Menschen nicht wählen gehen würden und diese von ihrem Recht keinen Gebrauch machen, sondern eher selbst verschuldete „Dummheit“, sorgte in der Reflektion des Gesprächs für vehementen Widerspruch. Tenor war vielmehr, dass die Gründe, weshalb Menschen nicht wählen gehen vielfältig sind und in den seltensten Fällen Auswuchs selbst verschuldeter „Dummheit“ zu sein scheinen, sondern vielmehr fehlender Bildung oder anderen sozialen Faktoren zuzurechnen sind, für die sowohl der Staat als auch Politiker:innen einzustehen haben. Eine solche Positionierung erschien gerade auf dem Hintergrund seiner eigenen Berufsauffassung als Bundestagsabgeordneter paradox und Hinterfragens würdig, die der Selbstbeschreibung nach in der Verteidigung der Verfassung bestünde. Zu dieser müsste dann konsequenterweise allerdings auch das Demokratieprinzip als Verfassungsgrundsatz aus Art. 20 GG gehören. Die Verteidigung der Verfassung und damit das Aufrechterhalten der Demokratie impliziert doch gerade den Einsatz und die Verantwortung dafür, dass möglichst viele Menschen von diesem Wahlrecht Gebrauch machen können und nicht pauschal als vermeintlich „dumm“ abgestempelt werden. So wenig wie fromm gleich demokratisch bedeutet –worüber im Gespräch Einigkeit bestand – bedeutet Mensch sein, demokratisch zu sein. Demokratie muss erlernt, verstetigt und erhalten werden. Hierfür Voraussetzungen zu schaffen und Verantwortung zu tragen, sollte selbstverständlich in das Aufgabenprofil von Politiker:innen fallen.

Trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – der sich teilweise entgegenstehenden Auffassungen, die sich im Gespräch mit Herrn Notz herauskristallisierten, war diese Begegnung eine Bereicherung unseres Kirchentagsprogramms; nicht zuletzt mit Blick darauf, dass gelebte Demokratie – dieses Thema begleitete uns als Gruppe über den ganzen Kirchentag – gerade in Dialog, Diskurs und dem Ringen um Argumente ihre Verwirklichung findet.

Gruppe 2: Leonie Uliczka, Antje Bärwinkel, Caspar Stark, Martin Weber