„Eine Theologie der Hoffnung reicht nicht mehr.“ – Ein Plädoyer für Veränderung.

von David Renz

Die Klimakrise, das Artensterben und die Bedrohung unserer Demokratie setzen uns unter Druck. Trotz dieser Krisen ist es von großer Bedeutung, mutig und verantwortungsbewusst den aktuellen Herausforderungen entgegenzutreten. Dies ist eines der zentralen Themen des evangelischen Kirchentags. Doch wie können wir das erreichen? Im Folgenden möchte ich anhand von drei unterschiedlichen Veranstaltungen oder Etappen erläutern, wie wir unser Handeln neu ausrichten können:

  1. Zunächst gilt es, die bestehenden Probleme hinsichtlich Demokratie und Gerechtigkeit darzustellen.
  2. Anschließend sollten wir uns mit den Motivationen und Orientierungsmöglichkeiten auseinandersetzen, die uns bei dieser Aufgabe leiten können.
  3. Schließlich sollten wir darüber nachdenken, wie aktives Handeln aussehen könnte in Zeiten der Krise.

1. Klimakrise begrenzen – Global gerecht?

Unter dem Motto „Klimakrise im globalen Kontext“ fand auf dem Kirchentag eine hochkarätige Podiumsdiskussion statt, die die Perspektiven von Menschen aus dem globalen Süden in Bezug auf die Klimadebatte beleuchtete. Die Diskussionsteilnehmer setzten sich kritisch mit der Wahrnehmung der Klimakrise in Europa und insbesondere in Deutschland auseinander und stellten die Frage, wie diese Debatten auf Menschen aus Ländern des globalen Südens wirken, deren Lebensgrundlagen bereits von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.

Das Podium, bestehend aus der prominenten Umweltaktivistin Vanessa Nakate aus Uganda, dem Pastor James Bhagwan von den pazifischen Fidschi-Inseln, einem Vertreter der Bundesregierung und Dagmar Pruin, der Präsidentin von Brot für die Welt, zog über 700 Besucher an. Die Diskussion begann mit Input-Statements der Teilnehmer, in denen die gerechte Bewältigung des Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen und die dringende Notwendigkeit, die verheerenden Folgen des Klimawandels abzumildern, thematisiert wurden. Dabei wurde deutlich, dass Menschen in Uganda bereits unter extremen Dürren und Bewohnern der pazifischen Inseln unter existenziellen Bedrohungen durch Überschwemmungen leiden.

Pastor Bhagwan brachte die Frage der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Veränderungen auf den Punkt: „Ist ein deutsches Leben mehr wert als ein ugandisches Leben? Ist ein deutsches Leben mehr wert als ein Leben im Pazifik? Als ein Leben in Bangladesch?“ Er verdeutlichte, dass sein Volk im Falle steigender Meeresspiegel auf den Inseln keine Fluchtwege mehr habe, während in Bangladesch beispielsweise noch die Möglichkeit besteht, ins Landesinnere zu flüchten. Vanessa Nakate und Pastor Bhagwan betonten gemeinsam, dass „Afrika historisch gesehen weniger als vier Prozent der globalen Emissionen verursacht“. Diese Gemeinschaften stehen nun zusätzlich zu den lang anhaltenden Auswirkungen des Kolonialismus und der Sklaverei vor dem dringenden Problem des Klimawandels, obwohl sie selbst kaum dazu beigetragen haben. Es herrscht Einigkeit sowohl in der Wissenschaft als auch in den Institutionen, aber wie gehen wir mit diesen Tatsachen um?

Kira Vinke sprach in diesem Zusammenhang von einer „ökologischen Schuldenbremse“, die nötig sei. Europa habe sich gerade dem globalen Süden gegenüber verschuldet und nicht umgekehrt! Daher betonten alle Teilnehmer des Podiums die Bedeutung einer gerechten Klimaverantwortung Deutschlands, die sich in der Reduzierung der Emissionen durch den Ausbau erneuerbarer Energien zeigen sollte. Vinke wies darauf hin, dass in Deutschland sogar über das Ziel einer 2%-igen militärischen Investition gesprochen werde, während wir „auch zwei Prozent für den Klimaschutz“ bräuchten. Sie betonte außerdem, dass der Klimaschutz zu einem unserer dringendsten Sicherheitsprobleme werde, da es „keine Freiheit und keinen Frieden ohne den Klimaschutz“ geben werde und dass wir „alles verlieren werden, wenn wir jetzt nicht handeln“.

Abschließend appellierte Dagmar Pruin direkt an die Besucher und betonte die Notwendigkeit, in der Kirche die Wahrheit zu sprechen, insbesondere in einer Welt, in der es viele Falschinformationen zum Thema Klima gibt. Sie forderte dazu auf, auch über finanzielle Aspekte zu sprechen und betonte gemeinsam mit Vinke, dass die Kosten, den globalen Süden angemessen zu entschädigen, überschaubar und vor allem bezahlbar seien. Es bleibt also die Frage: Was kann uns zum Handeln motivieren?

2. Mystik und Engagement – Die friedensfördernde Kraft christlicher und islamischer Mystik

Im zweiten Podium stand die Vielfalt der Definitionen von Mystik und die Frage, wie unterschiedliche Vorstellungen von Mystik Menschen dazu motivieren können, sich für Frieden und den Schutz der Schöpfung einzusetzen, im Fokus. Die Diskussion wurde von Cheikh Khaled Bentounès, spiritueller Lehrmeister des Alawiyya-Darqawiyya-Shadhiliyya-Ordens, Frère Jérémie von der Communauté de Taizé und Feride Funda G.-Gençaslan, die Vorsitzende des Sufi-Zentrums Rabbaniyya geführt.

Die Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass Mystik die Möglichkeit bietet, die Welt und die Menschen mit neuen Augen zu sehen und die Facetten unseres Lebens – wie es Frère Jérémie ausdrückte – auf eine neue Art und Weise wahrzunehmen. Dabei betonten sie, dass Mystik Menschen unterschiedlich beeinflusst und motiviert, auch wenn ihre Vorstellungen von Mystik variieren. Jérémie stellte dem Publikum zwei Fragen: „Wer von uns würde sich als engagiert bezeichnen? Wer von uns als Mystiker?“ Diese beiden Fragen überfordern uns, sind aber eng miteinander verbunden. Engagement ist eine Verpflichtung, die man eingeht, um sich einer Sache oder einem anderen Menschen hinzugeben und Gutes zu tun. Dies ist in unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen möglich, da es vor allem um Hingabe geht. Mystik selbst ist ebenfalls eine Form des Gebens. Er beschrieb Mystik als eine „innere Suche“ und ein „Gefühl des Kontakts zu etwas Größerem“ als unserem eigenen Selbst. Mystik beginnt, wenn etwas „Präsentisches“ im Herzen spürbar wird – der Kontakt zu etwas Absolutem oder Gott. Sie zielt darauf ab, Menschen zu gegenseitiger Hingabe zu führen, was schwer zu erfassen und noch schwerer zu erkennen ist, da es für jeden Menschen individuell ist.

Jérémie zitierte den biblischen Vers „Gott sah, dass es gut war“ und betonte, dass dieser Zuspruch trotz der Individualität bestehen bleibt. Einerseits drückt sich dies durch die Liebe des Absoluten aus, andererseits durch den Anspruch, selbst schöpferisch tätig zu sein. Wie kann dies konkret umgesetzt werden? Dazu verwendete er ein Bild, um dies zu verdeutlichen: „Wenn unsere Erde wie eine Kirche oder eine Moschee ist, dann ist jeder Mensch wie ein Fenster in dieser Kirche oder Moschee. Jedes Kirchenfenster hat unterschiedliche Farben. Gott hat uns als Fenster geschaffen, und Gott sah, dass es gut war. Wenn wir diese Fenster sind, entsteht eine Dynamik, die wir nur dann besser verstehen, wenn wir herausfinden, welche Farben, Formen und Gaben uns eigen sind.“ Mystik ist also keine Wahl oder eine bestimmte Wahrheit, sondern eine Suche nach der Realität, dass alles, was wir sind, von der leuchtenden Präsenz Gottes erhellt werden muss. Ein Kirchenfenster im Dunkeln bleibt ein Kirchenfenster, aber es kann nicht strahlen. Mystik versucht nicht, etwas zu beweisen, sondern durch die Suche nach dem Licht zu erfahren, sich führen zu lassen, sich erneuern zu lassen und sich von diesem Licht nähren zu lassen.

Damit verdeutlichte Jérémie, dass alles, was wir sind, nur eine Spiegelung dieses Lichtes ist. Die Suche nach diesem Licht lenkt uns von uns selbst ab und stellt Gott bzw. das Absolute und somit die Schöpfung ins Zentrum. Dabei warnte er davor, dass Meditation oder Kontemplation allein passiv bleiben könnten, genauso wie rein aktives Handeln „blind“ wäre. Engagement erfordert schöpferische Kraft und eine Ausrichtung auf den Anderen oder auf Höheres. In der anschließenden Diskussion waren sich alle Podiumsteilnehmer einig, dass Engagement und Mystik nicht einfach nebeneinander existieren, sondern sich gegenseitig beeinflussen. Die Suche nach Ausrichtung geschieht jedoch immer vor dem Hintergrund, dass wir selbst nur „Glasfenster“ sind, wie Jérémie betonte. Mystik und Engagement stehen also in einer engen Verbindung zueinander.

Engagement für die Umwelt kann also durch ein Gefühl der Allmacht motiviert sein. Denn ohne Ausrichtung auf den Anderen oder auf Höheres wird und bleibt jedes Handeln egoistisch.

3. Selbst wenn der Jüngste Tag kommt – Zukunft gestalten in apokalyptischer Zeit

Schließlich stellt sich noch die Frage ob mit der Krise aus dem ersten Podium und der Motivation aus dem zweiten Podium tatsächlich noch gehofft werden kann: Wie lässt sich Zukunft in einer apokalyptischen Zeit gestalten? Dazu gab es im dritten Podium ein Gespräch u. a. mit der Pfarrerin und Mitbegründerin von GreenFaith Alwine Dorothea Schulze. Sie brachte die Aspekte der vorherigen Podien zusammen und betonte, dass „Wahrheit […] nicht dazu da [ist], Unsicherheiten zu verbannen. Wahrheit hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun. Damit, der Realität in die Augen zu sehen.“

Die Apokalypse wurde dabei nicht als katastrophaler Untergang verstanden, sondern als eine Enthüllung oder Aufdeckung, ein Erkennen des Lichts, das durch unser Fenster scheint. Angesichts der Realität, mit der wir konfrontiert sind, betonte Schulze die Dringlichkeit des Handelns. Die zerstörerische Logik der Ausbeutung und des Konsums hat der Erde bereits großen Schaden zugefügt. Die Klimakrise ist eine reale Bedrohung, die nicht nur Leid verursacht, sondern auch bestehende Missstände offenbart und gleichzeitig neue Möglichkeiten für Veränderungen aufzeigt.

Ein konkretes Beispiel für die Auswirkungen der Klimakrise brachte Schulze aus Nicaragua mit ein. Dort wachsen aufgrund der Klimakrise die Kaffeepflanzen nicht mehr, und zudem leiden Frauen unter dem Wassermangel. Es ist offensichtlich: Wenn die Kipppunkte erreicht werden, setzen unumkehrbare Dynamiken ein. Genau hier sieht Schulze die Bedeutung von Religiosität und Mystik als wichtige Orientierungspunkte für aktives Handeln. Religiöse Menschen, die sich engagieren, sind sich der Bedeutung der Klimakrise bewusst. Ihre Religionen lehren sie, wie sie respektvoll und achtsam mit ihren Mitmenschen und der gesamten Schöpfung umgehen sollen. Sie betrachten die Erde und all ihre Lebewesen als heilig und gleichzeitig bedroht.

Das Podiumsgespräch verdeutlichte somit die Verbindung zwischen religiösem Engagement, der Erkenntnis der Realität der Klimakrise und der Suche nach neuen Möglichkeiten der Gestaltung einer gerechten Welt. Die religiöse Sprache kann eine große Kraft haben, da sie die Verletzlichkeit und Betroffenheit der Menschen ausdrückt. Die Teilnehmer des Gesprächs forderten unter anderem 100 % erneuerbare, saubere Energie für alle, eine wertebasierte und klimabewusste Handlungsweise der globalen Finanzmärkte sowie eine Willkommenskultur für Klimaflüchtlinge.

Die Podiumsdiskussion endete mit dem Appell, Bilder von einer zukünftigen Welt zu schaffen, in der die Menschheit eine gemeinsame Ehrfurcht vor dem Leben auf der Erde entwickelt hat. Es braucht einen neuen Blick auf die Schöpfung, bei dem Menschen sich als Mitgeschöpfe verstehen und die Klimakrise als existenzielle Herausforderung annehmen. Nur durch gemeinsames Handeln kann eine lebenswerte Zukunft geschaffen werden.

Fazit

Die Podiumsdiskussionen auf dem Kirchentag trugen rückblickend maßgeblich dazu bei, das Problem zunächst zu beschreiben, eine Orientierung zu geben und letztendlich auch Hoffnung zu vermitteln. Der Appell, mehr Mut durch Veränderung angesichts der aktuellen Umweltkrisen zu zeigen, wurde deutlich formuliert: „Jetzt ist die Zeit!“ Dieser Aufruf stellt keine leichte Aufgabe dar, sondern eine starke Herausforderung. Er fordert mich persönlich dazu auf, darüber nachzudenken, was unser Engagement ausmacht und in welcher Welt wir letztendlich leben wollen.

Kirchentagspräsident Thomas de Maizière verdeutlichte dies in seiner Abschlussrede beim Gottesdienst, als er betonte: „Nicht warten, sondern handeln.“ Pastor Quinton Ceasar unterstrich in seiner Abschlusspredigt dies: „Jetzt ist die Zeit, uns an die befreiende Liebe von Jesus zu kleben“ – nicht an Worte, Institutionen, Traditionen, Macht oder Herkunft, sondern an die Liebe Gottes.

Die Diskussionen und Reden auf dem Kirchentag hinterließen bei mir einen nachhaltigen Eindruck. Sie ermutigten Veränderungen anzustreben und aktiv zu werden, um eine bessere Zukunft zu gestalten. Die Podien zeigten mir, dass der Glaube und die religiöse Überzeugung eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen spielen können. Deshalb bot der Kirchentag mir einen Raum für einen offenen Dialog und eine breite Diskussion über die drängenden Themen unserer Zeit. Die Besucher des Kirchentags wurden dazu ermutigt, die Liebe, Verantwortung und Solidarität als Grundlage für das jeweilige Handeln zu nehmen. Eine Betonung darauf, dass jeder Einzelne eine Rolle spielen kann, um eine nachhaltige und gerechte Welt zu schaffen.

Die Podiumsdiskussionen auf dem Kirchentag haben mir gezeigt, dass es Zeit ist, aktiv zu werden und sich für positive Veränderungen einzusetzen. Sie haben verdeutlicht, dass es keine Zeit mehr zum Warten gibt, sondern dass jeder Einzelne gefragt ist, seine Stimme zu erheben und sich für eine Welt einzusetzen, die von Liebe, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit geprägt sein sollte. Der Kirchentag hat somit eine wichtige Botschaft vermittelt: Jetzt ist die Zeit, um gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten.